1952 – 1964

Die Schrecken des Zweiten Weltkrieges sind zwar noch nicht vergessen, aber in Kirchhellen besinnt man sich 1952 langsam wieder auf alte Bräuche und Urtümlichkeiten. Hauptmotoren für den Neubeginn sind Brezeldirektor Jan Lienen (Fockenberg), Löwen-Jupp (Schulte-Wieschen), Major Hannes Bellendorf (Schroer) und Helmut Brachmann. Oberst wird Bernhard Hetkämper. Hauptmänner der zwei Kompanien sind Karl Bayer-Jandewerth und Alois Fockenberg. Es wird ein Riesenfest.

Mit dem Schlachtruf „Schlogt man drop! Holt em runner!“ eröffnet Hauptlehrer Wilhelm Grafe, der vorletzte Brezelkönig vor dem Kriege, den Kampf um die Würde des Brezelkönigs. Nach mehreren Feuerpausen gelang es Bäckermeister Johann Jandewerth-Bayer den schon stark angeschlagenen Brezel mit einem wahren Meisterwurf abzuwerfen. Zur Brezelkönigin nimmt er Gertrud Kläsener.

Einhellige Meinung aller Beteiligten nach Abschluss des Festes: Die Tradition des Brezelfestes muss fortgesetzt werden! „Das Brezelfest, das volkstümliche Schützenfest des kleinen Mannes“ schreibt die Ruhr-Nachrichten, die mit einem Kirchhellener Ortsteil bis 2006 erschien.

Schon bei der ersten Vorbesprechung für das Brezelfest 1957 ist den Beteiligten klar: Aufgrund des großen Erfolges des Brezelfestes 1952 ist die Gründung einer 3. Kompanie erforderlich. Als Hauptmänner der drei Kompanien werden ernannt: Josef Schulte-Wieschen, Alois Fockenberg und August Gedraht. Beschlossen werden auch „Bretzelstatuten für das traditionelle Bretzelfest am 3. September 1957 in Kirchhellen“. Kirchhellener Brezelbrüder waren seinerzeit noch „Bretzelbrüder“.

Der Brezel, in gewohnter Manier von Josef Weber und Sohn Hans (Teita) gebacken, muss sich zuletzt dem Wurf des neuen Brezelkönigs Wilhelm Mues ergeben. Seine Auserwählte ist Johanna Brinkert.

1957 werden auch Festlegungen getroffen, die so oder in ähnlicher Form auch heute noch Gültigkeit haben. „Künftig soll zur Auflage gemacht werden bzw. in die Statuten aufgenommen werden, dass nur solche Bretzelbrüder, die am allgemeinen Bürgerschützenfest als Schütze mitgewirkt haben, am Bretzelfest listenmäßig erfasst werden können, während alle anderen den erhöhten Eintrittspreis zum Bretzelfest zu zahlen haben! Es soll bei künftigen Festen ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass eine Kostümierung irgendwelcher Art oder karnevalistisches Treiben nicht gestattet sind, damit der Charakter des Bretzelfestes als ein echter Volksbrauch nicht gestört und zweckentfremdet wird. Sämtliche eingetragenen Bretzelbrüder haben während der Veranstaltung, der Umzüge und der Festparaden die üblichen Schützenmützen ohne Kokarde und dazu den Bretzel zu tragen. Holzgewehre, wie sie von der Schützengesellschaft vorgeschrieben werden, sind dagegen für die Bretzelbrüder nicht zulässig, sondern es sind Spazierstöcke oder Knüppel zu tragen.“

An den blauen Bauernkittel, unserem jetzt so beliebten Brezelkittel, dachte noch keiner? Doch! In 2008 wurde ein Foto entdeckt, auf dem Brezelbäcker Hans „Teita“ Weber im Kittel zu sehen ist. Hans Weber: „Wir waren damals zwei Königsadjutanten und haben uns eigens für das Fest die Kittel samt Hut ausgeliehen.“ Der andere Adjutant war Hannes Weikämper, Bruder des späteren Königs Heiner I.

Zum Brezelfest 1960 wird erstmalig das Fernsehen eingeladen. Wie Zeitzeugen berichteten, sollen die Fernsehleute es erstens nicht bereut haben und zweitens auch nicht ganz nüchtern gewesen sein, als alles „im Kasten“ war. Diese ersten Fernsehaufnahmen von einem Kirchhellener Brezelfest wurden 45 Jahre später anlässlich des Festes in 2005 vom WDR zur Verfügung gestellt. Ein historisches Juwel!

Als Motto des Brezelfestes wurde „ln’t Dorp, do is wat loss“ festgelegt. Oberst ist August Schulte-Kellinghaus („Holz-August“). Die Presse: „Ein wahrer Jubelsturm dröhnte, Böllerschüsse krachten, als Friseurmeister Hans Schweitzer, Kirchhellen, Johannesstraße, schließlich den Brezel von der Stange heruntergeholt hatte. Auf den Schultern seiner Anhänger wurde er ins Festzelt getragen. … Der neue Brezelkönig nahm sich Frau Witwe Elisabeth Brauckmann, Kirchhellen, Wellbraucksweg, zur Königin.“

War noch das Brezelfest 1960 ein großer Erfolg, so verbreitete sich 1964 eine Schreckensmeldung in Windeseile durch das Dorf: „Das Brezelfest ist in Gefahr.“ Bei den vorbereitenden Sitzungen für das Fest ist die Beteiligung so gering, dass die wenigen Aktiven in Erwägung ziehen, die Tradition des Brezelfestes einschlafen zu lassen. Ein letzter Versuch, neue Brezelbrüder zu gewinnen oder bewährte Kräfte neu zu motivieren, ist ein Rundschreiben:

„Das Brezelfest ist in Gefahr“. Helfe Du mit, dass es im Interesse der gesamten Bürgerschaft und alter Tradition erhalten bleibt. Von der Gemeinschaft getragen, muss es gelingen, auch 1964 zur Freude der Kirchhellener Bevölkerung und vieler auswärtiger Besucher, das Brezelfest in althergebrachter Weise auf die Beine zu stellen.“

Der Aufruf blieb nicht ungehört. Der Fortbestand des Festes war gesichert. „Brezel fiel überraschend schnell“ berichtete die Westdeutsche Allgemeine Zeitung am Tag nach dem Fest. „Neuer Brezelkönig in Kirchhellen ist Johannes I. (Gastwirt Schroer-Bellendorf), der mit seinem kräftigen Wurf die Riesenbrezel von der Stange holte. … Er erwählte Bäuerin Zissi Borgmann, geb. Steinmann, zur Königin. Da er bisher als Major fungierte, ernannte er Josef Schulte-Wieschen zum Nachfolger, dessen Posten als Führer der 1. Kompanie an Dr. Josef Drecker ging. Dann formierte sich der Zug durch das Brezeldorf.“

Begeistert schrieb der damalige Chronist am Ende der Festivitäten. „Das Brezelfest 1964 ist vorüber. Es lebe das Brezelfest. Unsere gemeinsamen Bemühungen waren nicht umsonst. Das Brezelfest 1964 hat sowohl bei der Bürgerschaft, wie auch bei den vielen auswärtigen Gästen ein Echo hervorgerufen wie nie zuvor.“