1967 – 1977

War das Brezelfest 1964 sozusagen die Wiedergeburt der beinahe „toten Tradition“ des Brezelfestes, so stand das Fest 1967 im Zeichen der „Verjüngung“ des Vorstandes. Brezeldirektor wurde Hannes Bellendorf (Schroer), Geschäftsführer sind Helmut Brachmann und neu dazugekommen Heiner Weikämper. Neuer Brezeloberst Löwen-Jupp (Schulte Wieschen), neuer Brezelmajor Manfred Schulz. Paul Hermes, später Brezelmusikdirektor, trug erstmals das von ihm verfasste „Brezelaner Lied 1967 – Wir werfen hier nach altem Brauch“ vor.

Haarsträubend war auch wieder das Attraktionsprogramm am Brezelfesttag. Es stand unter dem Motto „Det Dorp es außer Rand und Band. Den Griesgram sall de Düwel halen! Willkommen sind allhier to Land, de Leü ut Nederland, ut Rhinland un Westfalen“. Pablo Semreh (Paul Hermes), der Kraftmensch, kämpfte mit vier Unbekannten. Der „Ölscheich von Belybien“, Nasser Emir Abdul Ben Kunert, machte mit seiner Lieblingsfrau auf der Durchreise Station in Kirchhellen. Brezelkönig wurde Maler- und Anstreichermeister Hans Schürken. Zu seiner Mitregentin wählte er Maria Brauckmann.

Brezelmusikdirektor Paul Hermes feilte und tüftelte unermüdlich an einem neuen Lied zum Brezelfest 1970. Er ließ seinen Gedanken freien Lauf. Endlich war es soweit. Während einer Sitzung am 5. Juni 1970 hatte das Lied – ja die Hymne – der Brezelaner, „Ja, wir Brezelbrüder wissen“ (nach der Melodie „Wenn die bunten Fahnen wehen“) seine Uraufführung. Und wir singen, singen das Brezelaner-Lied Nr. 1 immer noch.

Während dieser Sitzung wird noch eine weitere Neuheit vorgestellt: Die Brezelpolizei, eines der Wahrzeichen des Brezelfestes, die mit strenger Hand für Ordnung sorgt. Hauptmatadoren waren zunächst Willi Rommeswinkel und Peter Dreckmann.

Besondere Attraktion am Vormittag des Brezelfestes war die 1. öffentliche Ratssitzung des Kirchhellener Gemeinderates im Festzelt, die bei den Zuschauern reine Lachsalven auslöste. Als der Brezel endlich fiel schulterten die wackeren Brezelbrüder den Tischlermeister Heinrich Wessels im Triumphzug ins Zelt. Hier proklamierte ihn Gemeindedirektor Dr. Königshausen zum Brezelkönig Heinrich I. und Doris Schenke zur neuen Brezel-Königin Doris I.

Das gab es auch noch nie: Über 800 Brezelbrüder hatten sich eintragen lassen und marschierten brezelverziert und sonst originell geschmückt in den Kompanien beim Brezelumzug und der Parade mit. Schätzungsweise über 10.000 Besucher sahen den Umzug.

Heinrich Steinberg und Franz Bölting boten am Nachmittag in ihrem Bauernmuseum Kostbarkeiten an, die es sonst auf der Welt nicht mehr gibt: Das einzige Scheffelmaß; das Messer vom Menschenfresser Hahmann, der vor vielen hundert Jahren in Kirchhellen eine Zeitlang „wirkte“; ein großes und ein kleines Horn von je eins der sieben fetten und mageren Kühe aus dem Alten Testament; das Hauptstück der ersten Wasserzubereitungsanlage aus Afrika mit einem Häuptlingshaar; ein über 300 Jahre alter Pirseling, in dem erst kürzlich noch von einem bekannten Professor Leben festgestellt wurde; die einzigen Tropfen Maurerschweiß, gesammelt beim Turmbau zu Babel und vieles mehr.

Endlich war es soweit: Brezelanien feierte 1973 sein 90jähriges Bestehen. Alte Kostüme waren beschafft und die Geburtshäuser der Initiatoren besonders geschmückt worden. Einer der zahlreichen Höhepunkte war wieder die außerordentliche Ratssitzung. Einheitlich in blaue Ba

uernkittel gewandet, bollerte der gesamte Gemeinderat auf dem Pferdewagen vor dem Zelt an, mit roten Halstüchern die Sozis, mit schwarzen die CDU-Männer. Die Verwaltung trug schwarz-rot.

Mehr als 1.200 Brezelbrüder hatten sich bis zum Beginn des Brezelwerfens in die Listen eintragen lassen. Eine solche Rekordbeteiligung gab es vorher noch nie. Der Riesenbrezel vertrug manch argen Stoß, bevor ihm Bäckermeister Egon Schnieder „den Garaus machte“. Hallo und Händedrücken für den neuen Brezelkönig Egon I., der sich lrmgard Strangemann aus Ekel zur Königin erkor.

Ein sechsspänniger Festwagen der Dortmunder Aktien Brauerei war die besondere Attraktion beim Brezelumzug. Nach Festparade und Umzug durch das Brezeldorf rollte am Nachmittag ein „karambastisches“ Attraktionsprogramm im und am Zelt ab. Es war wohl das bisher turbulenteste Fest in der langjährigen Geschichte der Brezelgesellschaft.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Brezelgesellschaft wurden 1977 Jubilare geehrt. Für 40 Jahre aktive Tätigkeit beim Brezelfest erhielten Jans Heisterkamp, Josef Brinkert und Heinrich Steinberg einen Zinnbrezel. Als Aktive bei allen Brezelfesten nach dem Zweiten Weltkrieg wurden ausgezeichnet: Josef Schulte-Wieschen, Johannes Bellendorf, Willi Fockenberg, Johannes und Josef Schlüter, Bernhard Haseke, Heiner Timmerhaus, Theo May, Willi Hasebrink, Wilhelm Holtkamp, Hans Brüne, Hannes Voßbeck, Heinz Fockenberg, Wilhelm Körtling, Fritz Jost und Franz Bölting.

Mit dem Brezelfest 1977 wird eine neue Ära eingeleitet, ist es doch das erste Fest, das nach der Eingemeindung Kirchhellens nach Bottrop gefeiert wird. Oberstadtdirektor Bernd Schürmann aus dem Bottroper Rathaus wurde neuer Brezelprotektor. Die Brezelgesellschaft vergab in diesem Jahr erstmals den Auftrag zur Anfertigung von Brezelkitteln mit rotem Halstuch.

Die „Mesterstunne inne Klumpenkammer“ ersetzte mit großem Erfolg am Vormittag im Festzelt die vorher abgehaltenen „Gemeinderatssitzungen“. Unvergessen sind die plattdeutschen Dönkes, vorgetragen von Hans Büning, Jans Heisterkamp, Jans Hermes, Fritz Pels, Jans Rottmann, Jupp Schäpermeier, Jans Schnieder, Heinrich Steinberg und Bernd Uhlenbrock. Ein Stück gutes, altes Dorfleben lebte wieder auf.

Neuer Brezelkönig wurde Hans Kläsener. Mit Riesenjubel wurde er mit dem Überbleibsel des Brezels geschmückt ins Festzelt getragen. Seine Brezelkönigin wurde Liesel I. Winkel. Der große Brezelumzug durch Kirchhellen-Mitte stellte alles bisher da gewesene in den Schatten.