1980 – 1990

1980 waren wichtige Personalentscheidungen zu treffen, da Brezeloberst Josef Schulte-Wieschen verstorben war und Brezeldirektor Hannes Bellendorf, der dieses Amt seit 1967 innehatte, von diesem Posten zurücktrat. Neuer Brezeldirektor wurde der bisherige Oberleutnant der 2. Kompanie, Hugo Liesenklas. „Schroers Hannes“ (Hannes Bellendorf) und Manfred (Manni) Schulz wurden zum Brezeloberst bzw. Brezelmajor gewählt.

„Brezelanien singt“ schallt es am Brezelfestmorgen durch das Festzelt, das Attraktionsprogramm begeistert jung und alt. Den Verantwortlichen fuhr Angst und Schrecken in alle Glieder, als der Brezel bereits nach einigen Würfen bedenklich Federn lassen muss. Der Gruppe um Jürgen Winkel gelingt es, den Brezel mit einem wahren Trommelfeuer von der Stange zu holen. Damit bleibt die Königswürde für weitere drei Jahre in der Familie Winkel. Neue Brezelkönigin wurde Waltraud Schweitzer.

Beim großen Brezelumzug am Nachmittag im Dorf müssen Petrus wohl die Freudentränen gekommen sein. Es beginnt so stark zu regnen, dass der große Festzug kurzfristig umgeleitet werden muss. Die Parade vor dem alten und neuen Königspaar kann nicht auf der Paradewiese an der Gartenstraße stattfinden, sondern wird vor die Mehrzweckhalle (jetzt Brauhaus am Ring) verlegt. Aber das tut der Stimmung keinen Abbruch.

1883 bis 1983 – ein Anlass erstmals die Geschichte der ersten 100 Jahre der Brezelgesellschaft zum Jubiläumsfest aufzuarbeiten. Ein Arbeitskreis mit mehreren Brezelbrüdern macht sich an die schwierige Aufgabe und meistert sie. Erstmalig werden in einer Festschrift vorhandene Daten, Fakten und auch Erinnerungen zur Entwicklung der Brezelgesellschaft kompakt zusammengestellt. Vieles muss aber unbeantwortet bleiben, denn zu den Ursprüngen des Brezeltreibens gab es keine Originalaufzeichnungen.

Ein „Jahrhundertfest“ wird es genannt. Entsprechend sind auch die Vorbereitungen. Eine gemeinsame Schützen- und Brezelausstellung in der Volksbank mit Bildern, Plakaten, Urkunden und Texten beider Gesellschaften sowie Originalitäten aus dem Brezelmuseum wird zusammengestellt und findet das Interesse zahlreicher Besucher.

Es wird wieder ein großes Volksfest. Zu Beginn des feierlichen Festhochamtes am Sonntagmorgen für die Gefallenen und Verstorbenen segnete Pfarrer Heinrich Bischof die neue und erste Fahne der Brezelgesellschaft Kirchhellen. Gestiftet wurde diese Fahne mit dem Dorfmotiv von Kirchhellen um 1883 und dem Symbol der „Brezelgesellschaft Kirchhellen 1883″ vom noch amtierenden Brezelkönigspaar.

Das Jubiläums-Brezelfest wurde von einer kaum zu beschreibenden Begeisterung getragen. Auf der Festwiese ein buntes und unterhaltendes Programm für jedermann, im Festzelt Singen und Schunkeln mit Volks- und Heimatliedern. Beim Brezelwerfen musste der nach vielen Würfen lädierte Brezel mehrfach an der Stange gelockert werden, bevor es dem einzigen Königsbewerber Bernhard Hetkämper-Flockert, Landwirt, gelang, mit kräftiger Unterstützung seiner Getreuen den Brezel von der Halterung herunter zu holen. „Ich bin’s!“ triumphierte er nach dem entscheidenden Wurf. „Flockerts Bernd“ war total aus dem Häuschen. Zu seiner Königin erkor er sich Elli Grewer, geborene Jansen „Brackenberger“.

„Kirchhellen wie vor 100 Jahren!“ war das Motiv aller Teilnehmer des Festzuges. Alle Wagen ein Zeugnis höchster Handwerkskunst, die überall großen Beifall ernteten. Ein Wagen origineller als der andere. Dass es ein wunderschönes Brezelfest war, mag man auch daran erkennen, dass bei der Dankeschönfeier, dem sog. „6-Wochen-Amt“, im Saal von Schulte-Wieschen Aufklebezettel mit dem Schriftzug „Bitte nicht stören, ich denke noch ans Brezelfest 1983″ getragen wurden.

1987, mit Rücksicht auf die Feierlichkeiten zum 100jährigen der Freiwilligen Feuerwehr Kirchhellen also erst nach vier Jahren, wurde wieder das Schützen- und Brezelfest gefeiert. „In Kirchhellen ist doch klar, sind Brezelfeste wunderbar.“ So begrüßte der amtierende Brezelkönig im März 1987 bei der Gründungsversammlung das Brezelvolk von Kirchhellen im voll besetzten Saal von Schulte-Wieschen. Zum neuen Brezeloberst wurde Albert (Zappi) Kleine-Wolters gewählt.

Wie sehr ein Brezel als Symbol von unverfälschtem Brauchtum und origineller Tradition zur Faszination vieler Tausender von nah und fern werden kann – Kirchhellen bewies es auch dieses Mal wieder beispielhaft. Viel Spaß an der Freud‘ kam auf, wenn z. B. Steinberg’s Heinrich im Bauernmuseum unglaubliche „Vertellkes“ zum Besten gab. Es „bogen sich die Balken“, wenn er und Hermann Kleimann die Herkunft der merkwürdigen Relikte erläuterte oder Raritäten zum Besten gab.

Beim Brezelwerfen wurde der eingebackene Strick einmal zu stark gelockert; plötzlich fiel der Brezel von allein runter. Über eine Stunde bröckelte der Brezel vor sich hin – und dann grenzenloser Jubel: „Jo, Coco es Brezelkönig“. Paul I. „Coco“ Große-Venhaus – seit 1952 erster Standartenoffizier – hatte die Brezelreste herunter geholt. Rita I. (Dreiskämper) wurde seine Brezelkönigin.

Die Planungen der Stadt waren auf die rechtzeitige Fertigstellung der neuen Festwiese am Kirchhellener Ring für die Festtage 1990 abgestellt. Allerdings gab es plötzlich ein Problem. „Bombe gefährdet Brezelfest“, so die Schlagzeile in der Ortspresse im Juni. Nachdem die Arbeiten wegen der notwendigen „Entschärfung“ der Bomben vorübergehend für einige Tage eingestellt werden mussten, konnte aber der neue „Josef-Terwellen-Platz“ doch noch rechtzeitig fertig gestellt und eingeweiht werden.

Wiedergewählt wurden Brezeldirektor Hugo Liesenklas („Hugo der Gewaltige“), Geschäftsführer Heiner Weikämper, Oberst Albert Kleine-Wolters, Major Manfred Schulz. Hauptleute in diesem Brezelfestjahr waren: 1. Kompanie Willi Hasebrink, 2. Kompanie Willi Overgünne, 3. Kompanie Peter Drecker, 4. Kompanie Heinz Körtling. Oberstadtdirektor Ernst Löchelt wurde neuer Brezelprotektor.

„Willkommen im Brezeldorf Kirchhellen“ hieß es am Brezelfesttag auf den vom Brezelprotektor geschenkten Schildern. Beim Brezelwerfen bekam am meisten die Birke, die hinter der Brezel-Abwurfstange stand, die Abwurfhölzer zu spüren. Es dauerte lange, bis der neue König feststand. Schreinermeister Werner I. (Stratmann) wurde auf die Schultern gehoben und zum Zelt getragen. Der König stellte sich im Zelt seinem Volk: „Es juckte so merkwürdig in meinen Fingern, als ich mit der Keule den entscheidenden Wurf tat.“ Seine neue Königin wurde Bernhardine I. (Miermann).

Im über zwei Kilometer langen Festzug war auch das Kaltblutpferd der Alten Herren der Landjugend, „Wilhelmine, die Liebliche von der Normandie“, dabei. Sie konnte sich freuen, daß sie, nun endlich trächtig, gefahren wurde. Unter dem Motto „Mutterschutz für Wilhelmine!“ brauchte sie diesmal nicht ziehen, sondern wurde durch die Straßen Kirchhellens gefahren.